Endometriose endlich ernst nehmen

Prof. Sylvia Mechsner von der Charité in Berlin ist Deutschlands führende Expertin für die schmerzhaften Wucherungen. Was Betroffene wissen sollten – und was sich ändern muss –, erklärt sie im Interview.
Endometriose wird zu sehr verharmlost: Interview mit einer Expertin
BILD der FRAU: Was ist Endometriose genau und wie äußert sie sich?

Prof. Sylvia Mechsner: Endometriose ist eine gutartige, aber chronische, östrogenabhängige Erkrankung, bei der sich gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutterhöhle ansiedelt. Im Bauchraum, am Bauchfell, im kleinen Becken, in der Blasenwand, an den Darmwänden und Eierstöcken oder gar der Lunge. Das führt zunächst zu sehr starken Regelschmerzen.
Nach und nach kommen andere Beschwerden hinzu: Schmerzen vor der Blutung oder zum Eisprung, beim Wasserlassen, beim Stuhlgang oder Geschlechtsverkehr. Auch Beschwerden, die nicht dem Zyklus zugeordnet werden können, treten auf. Die Schmerzen verursachen Beckenbodenverspannungen, die dann wieder weitere Schmerzen im Becken verursachen. Endometriose ist darüber hinaus die häufigste Ursache für ungewollte Kinderlosigkeit bei Frauen.
Diese Verschlimmerungen sind so häufig, weil die Krankheit sehr spät erkannt wird?
Ja, im Durchschnitt hat eine Frau in Deutschland erst 10 Jahre nach den ersten Beschwerden eine Diagnose. Und je weiter die Entwicklung der Endometriose bei einer Patientin voranschreitet, desto komplexer werden die Beschwerden. Dabei leiden 10 bis 15 Prozent aller europäischen Frauen zwischen 15 und 45 Jahren an Endometriose.
Warum ist Endometriose so schwierig zu diagnostizieren?

Weil es anfangs zwar die Regelschmerzen gibt, aber noch keine auffälligen Untersuchungsbefunde. Regelschmerzen werden erst mal als etwas Normales angesehen, das Frauen eben aushalten müssen. Man muss als Gynäkologin gezielt und differenziert nachfragen: Wie viel Schmerzmittel muss die Patientin nehmen? Ist ihr übel? Damit ist das Zeitfenster, das Kolleginnen und Kollegen in den Praxen haben, schnell ausgefüllt. Tatsächlich gibt es nicht mal eine Abrechnungsmöglichkeit bei den Kassen für diese Art der Untersuchung. Das muss sich dringend ändern.
Endometriose ist eine chronische Krankheit, sie muss auch nach einer OP in Schach gehalten werden
Sie fordern auch eine bessere Schulung von Gynäkologinnen und Gynäkologen.
Unbedingt, denn neben der Befragung der Patientin hilft auch ein erweiterter Ultraschall bei der Diagnose. Wenn man sich auch die anderen Organe anschaut, die mitbetroffen sein können, z.B. die Blasenwand, kann man eben doch etwas erkennen. Dann muss es nicht gleich eine invasive Bauchspiegelungs-OP sein. Entdeckt man bei diesen schonenden Untersuchungen etwas, kann man schon mit einer Behandlung beginnen – und wäre so viel früher dran als bei den üblichen 10 Jahren, die verstreichen, ohne dass den Frauen geholfen wird.
Wie sieht die Therapie heute aus?
Wenn einfache Schmerzmittel nicht ausreichen, wird mit einem Gestagen-Monopräparat behandelt, das ohne Pause genommen wird, sodass es nicht zu Blutungen kommt. Bei den meisten führt das zu einer Besserung. Wenn nicht, wird eine Bauchspiegelung gemacht. Dann kann man sehen, was die Schmerzen verursacht, und das Gewebe auch gleich entfernen. Um eine Schwangerschaft zu ermöglichen, überspringt man bei unerfülltem Kinderwunsch die Hormontherapie natürlich. Weil Endometriose eine chronische Krankheit ist, muss man sie aber auch nach der OP mit einer multimodalen Therapie in Schach halten. Erst nach den Wechseljahren beruhigt sich das Krankheitsgeschehen.
Kann man als Patientin selbst was tun?
Über die Ernährung lässt sich viel ausrichten: Weniger entzündliche Nahrungsmittel wie Schweinefleisch, mehr pflanzliche Kost, auch Gluten, Zucker und histaminhaltige Nahrungsmittel vermeiden. Außerdem helfen Yoga und Beckenbodenentspannungsübungen sehr gut.

Nachdem eine Diagnose gestellt wurde, ist es wichtig, die Krankheit schnellstmöglich zu behandeln. Welche Therapien bei Endometriose zur Verfügung stehen, liest du hier.
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