Miese Dating-Maschen, Teil 3

Gaslighting – das perfide Spiel mit deiner Wahrnehmung

Paar sitzt auf einer Couch beim Frühstück und unterhält sich gestikulierend
© iStock.com/Dean Mitchell
Gaslighting ist ein Ausdruck großer Verlustangst – der oft mit Manipulation und Schuldzuweisungen einhergeht.

Verlustangst & Kontrolle: Gaslighting kommt in Beziehungen gar nicht so selten vor. Wie du dich  vor dieser anhaltenden Manipulation schützt.

Gaslighting und Co: Woher kommt diese "neue" Angst vor Bindung und Verlust?

Zu den immer narzisstischeren Ausprägungen kommt wegen der heute vorherrschenden Romantisierung der Liebesbeziehung die große Furcht dazu, eine falsche Partnerentscheidung zu treffen. Das führt zu einer längeren Phase des Ausprobierens, das Durchschnittsalter für die Familiengründung und Eheschließung verschiebt sich immer weiter nach hinten – derzeit liegt es bei etwa Mitte 30. Vor einigen Jahrzehnten war es noch bei Ende 20.

Groundhogging - Was steckt hinter dem Dating-Phänomen?

Paarberater Eric Hegmann kennt sich mit der Thematik bestens aus. Für BILD der FRAU hat der Experte die wichtigsten Warnzeichen während der Dating- und Beziehungsphasen in der heutigen Gesellschaft zusammengestellt. In einer Serie erklärt er sie und sagt, wer so etwas macht, wer betroffen ist – und wie man sich schützen kann.

Paar-Therapeut Eric Hegmann | © Robert Hilton
Foto: Robert Hilton
Eric Hegmann, Paarberater aus Hamburg

Warnzeichen beim Kennenlernen – Teil 3: Gaslighting

Menschen mit starken narzisstischen Zügen beobachten häufig sehr genau ihre Partner*innen, um sich vor Verletzungen durch sie zu schützen – denn sie könnten ihren bereits niedrigen Selbstwert noch weiter schmälern. Das ist keine Empathie, sondern vielmehr Manipulation, die dazu führt, dass an allen Konflikten die Schuld immer die Partner*innen tragen, denen das Wort im Munde umgedreht wird. Das Phänomen ist Ausdruck großer Verlustangst, die nicht vor Täuschung und Verleumdung zurückschreckt, um die Kontrolle über die andere Person zu bewahren.

Gaslighting kann enorm gefährlich werden. Denn es handelt sich im Grunde um nichts anderes als emotionale Manipulation bis hin zur Gehirnwäsche. Die Person, die dieses Verhaltensmuster anwendet, gibt ihrer Partnerin bzw. ihrem Partner immer wieder kleine Häppchen an Kritik mit, die diese*n mit der Zeit weiter zermürben und sie oder ihn dazu bringen, an sich selbst zu zweifeln. Die manipulierende Person spricht ihrem Gegenüber immer wieder deren bzw. dessen angeblich negatives Verhalten an, um sie oder ihn in Erklärungsnot zu bringen. Dieser ständige Zwang, sich rechtfertigen zu müssen, der dadurch entsteht, kann dazu führen, dass man sich letztendlich selbst für verrückt hält. Das kann bis hin zum Identitätsverlust führen.

Gleichzeitig geben Menschen, die Gaslighting betreiben, ihren Partner*innen nebst ständiger emotionaler Anschuldigungen auch das Gefühl der Nähe und der Sicherheit. Mit ermutigenden Phrasen wie "ich bin für dich da und helfe dir, dich zu verbessern" binden sie sie emotional an sich – und dominieren sie.

Tipp: Misstraue nicht deiner eigenen Wahrnehmung. Glaube nicht, dass immer nur du die "Schuld" trägst. Tausche dich frühzeitig mit Freund*innen aus und überprüfe, ob deine Liebe nicht nur emotionale Abhängigkeit ist. Führe Tagebuch.

Gaslighting: Wen kann es treffen?

Vor allem natürlich Singles, die durch schmerzhafte Erfahrungen in früheren Beziehungen oder der Partner*innen-Suche einen verletzten Selbstwert haben und sich deshalb leichter beeinflussen lassen. Menschen mit einem starken Selbstwertgefühl lassen sich nur dann mit Partner*innen mit einem schwachen Selbstwert ein, wenn sie das zunächst nicht bemerken. Doch genau das ist, was Gaslighting ausmacht: Es trifft häufig jene, die nicht gefährdet wirken. Gerade weil sie sich sicher fühlen, erkennen sie die Manipulationen erst sehr spät.

Gaslighting: Wer macht so was?

Gaslighting passiert nicht fahrlässig, sondern vorsätzlich. Die Täter*innen sind Menschen mit extremem Wunsch nach Kontrolle. Sie erheben sich über die Partner*innen, indem sie sie herabsetzen. Jemanden an der eigenen Wahrnehmung zweifeln zu lassen, macht  Betroffene hilflos, machtlos und abhängig.

Gaslighting: Wie kann man sich schützen?

Wenn du feststellst, dass dir vorgeblich immer wieder Dinge entfallen oder du dich angeblich ganz untypisch verhalten hast, trainiere deine Wahrnehmung. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass du plötzlich nur in deiner Beziehung unbekannte Verhaltensweisen zeigst, aber im Umgang sonst und im Alltag nicht. Ein Warnsignal kann auch sein, wenn dein*e Partner*in deinen Argumenten gegenüber nicht mehr aufgeschlossen ist, sondern nur noch die eigenen gelten lässt.

Die beste Methode, sich einem Gaslighting zu entziehen: sich von der manipulierenden Person fernhalten. Opfer dieser Manipulation erleiden nicht selten irgendwann psychische Erkrankungen, können sogar eine Depression oder eine dissoziative Störung entwickeln.

Woher kommt der Begriff?

Warum man dieses Verhalten Gaslighting nennt, liegt an dem Film "Gaslight" aus den 1940er-Jahren. Im Film versucht ein Mann, seiner Frau nach und nach zu vermitteln, dass sie verrückt geworden sei, den Verstand verloren hat.

Gaslighting kann übrigens auch außerhalb von Beziehungen, etwa in einer Freundschaft oder unter Kolleg*innen vorkommen. Unbegründete Vorwürfe, die das Gegenüber zermürben, oder ständige Aggressivität sind starke Anzeichen für anhaltende emotionale Manipulation.

Warnzeichen in Beziehungsphasen: Interview mit Eric Hegmann, Teil 1

Im ausführlichen Interview mit Paartherapeut Eric Hegmann geht es darum, welche Menschen zu Bindungsangst-Symptomen neigen, welche sich als Partner*innen darauf einlassen – und wie sie sich schützen können.

BILD der Frau: Lieber Herr Hegmann, wovor genau haben Singles heute so viel Angst? Vor Nähe, davor zu scheitern, etwas zu verpassen?

Bereits der deutsche Analytiker und Therapeut Fritz Riemann legte mit "Grundformen der Angst" im vergangenen Jahrhundert ein Modell vor, das aufzeigte, wie alle unsere Glaubenssätze aus Angst entstehen und unsere Verhaltensweisen Schutzstrategien darstellen, um gefährliche Situationen, vor denen wir uns fürchten, zu vermeiden. Viel Angst bedeutet hohe Vermeidung. Bei Ghosting oder Benching, zwei der in der Serie erklärten Warnzeichen in Beziehungsphasen, steht die Furcht vor dem direkten Konflikt im Vordergrund. Die Partnerin bzw. der Partner mit dem geringeren Interesse will sich einfach nicht mit den Reaktionen des Gegenüber direkt auseinandersetzen müssen. Sie oder er taucht lieber ab.

Singles müssen immer weniger Angst vor Zurückweisung haben – sie verlernen dabei aber auch, mit Zurückweisung umzugehen. Einige schreiben dann Bücher über die schlimmsten Dates ihres Lebens, die ganz offensichtlich wie traumatische Erfahrungen waren. Wenn sie sich diese schlimmen Erfahrungsberichte ansehen, gewinnen sie den Eindruck, Partnersuche ist Krieg. Einige Singles stürzen sich deshalb in Selbstoptimierung. Sie versuchen einen Korb zu vermeiden, indem sie sich zur/zum vermeintlichen Traumpartner*in verwandeln, die oder den sie sich selbst wünschen: mehr Sport, mehr außergewöhnliche Freizeit-Aktivitäten, mehr Anerkennung ...

Gefährdet sind vor allem verletzte Singles

Dahinter verbirgt sich jedoch eine riesige Unsicherheit, die aber nicht angegangen, sondern nur überstrichen und verdrängt wird. Das macht Singles dann so empfänglich für Phänomene wie Love Bombing, ebenfalls ein Warnzeichen in Beziehungsphasen: Wenn ein ebenso unsicherer Mensch, meist mit starken narzisstischen Persönlichkeitsanteilen, sich so sehr um sie bemüht, dass sie endlich einen Moment ihre Angst vergessen können. Geht die Beziehung dann schief, ist die Verletzung umso tiefer, je euphorischer der Auftakt erschien. Es sind die verletzten Singles, die dann die Schutzstrategien entwickeln, die wir heute als vornehmlich neue Dating-Phänomene kennenlernen.

Woher kommt diese Angst?

Bindungsangst ebenso wie Verlustangst nährt sich durch einen verletzten Selbstwert. Und der begründet sich aus Glaubenssätzen und Überzeugungen wie "ich bin nicht wichtig", "ich schaffe das nicht" oder "ich falle zur Last". Solche Glaubenssätze entstehen in der frühen Kindheit in der Beziehung zu den Eltern oder Bezugspersonen, sie werden aber auch beeinflusst durch die Erfahrungen in Liebesbeziehungen, also der eigenen Beziehungshistorie. Wer einmal schmerzhaft erlebt hat, betrogen worden zu sein – ohne Vorwarnung, aus heiterem Himmel –, stellt alles in Frage: "Wie konnte ich das nicht bemerken? Was stimmt nicht mit mir?" Der Selbstwert leidet, das eigene Empfinden auch, der Wahrnehmung wird nicht mehr vertraut.

Schutzstrategien sollen gleiche Fehler ein weiteres Mal vermeiden

Überhaupt kein Wunder, dass Menschen danach nun – bewusst und unbewusst – alle möglichen Schutzstrategien entwickeln, um eine solche Verletzung zu vermeiden. Die einen geben sich nun extra Mühe und wollen beweisen, dass sie liebenswürdig sind – und geben sich dabei auf. Die anderen tun alles, damit ihnen niemand mehr so nahekommen kann, der sie dann verletzen könnte. Unerreichbare Partner*innen, maßlos überhöhte Ansprüche sind beispielsweise effektvolle Vermeidungsstrategien, derer sich die Betroffenen selten bewusst sind. Im Gegenteil scheint sich die Welt gegen sie verschworen zu haben, sie wünschen sich ja so sehr Nähe und Liebe – nur weiß das niemand zu würdigen, so scheint es ihnen.

In Wirklichkeit ziehen sie aus dieser Position der Schwäche nur Personen an, die ebenfalls einen verletzten Selbstwert haben und ihre Kraft aus den Bemühungen anderer ziehen. Die Folge ist jene unglückliche Paar-Dynamik, in der einer den anderen auf Distanz hält und bei jedem Rückzug die Partnerin bzw. den Partner animiert, noch mehr zu investieren. Irgendwann hält das Paar das nicht mehr aus, und die Beziehung zerbricht oder das Kennenlernen wird abgebrochen. Jeder fühlt sich bestätigt, dass Partnersuche anstrengend und verletzend ist. Man stellt die Fähigkeit zur Verbindlichkeit in Frage – und der Kreislauf aus Schutzstrategien beginnt erneut. Allerdings machen die alles nur schlimmer, nicht besser. Sie festigen die Muster sogar.

Teil 2 des Interviews mit Paartherapeut Eric Hegmann liest du im Artikel Hell on Earth & Flying Monkeys: Trennungshorror und Rosenkrieg.

Mehr Infos zu unserem Experten Eric Hegmann findest du hier.

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