Perfektes Paar auf Social Media: Wie das zur Beziehungskrise führen kann

Die heile Welt auf Social Media darstellen: Diese Selbstinszenierung nutzen auch Paare. Was das mit einer Beziehung machen kann, erläutert ein Experte.
Ein schöner, inniger Moment für ein Paar, im Urlaub oder zu Hause: Statt ihn einfach zu genießen und innezuhalten, zückt eine*r der Partner*innen immer öfter das Handy, um die Situation nicht nur festzuhalten, sondern auch gleich noch in den sozialen Medien zu teilen. Nicht selten findet die oder der andere das gerade richtig unpassend...
Da ist Streit vorprogrammiert: Paarberater Eric Hegmann kennt die Auseinandersetzungen, die diese Form der Selbstdarstellung auf Social Media in Beziehungen hervorruft. Der Partnerschafts-Experte, der in seiner Modern Love School viele Online-Kurse rund um Beziehungsthemen anbietet, spricht im Interview mit BILD der FRAU darüber.
Wie sich Selbstdarstellung in den sozialen Medien auf die Beziehung auswirkt
BILD der FRAU: Lieber Herr Hegmann, Harmonie via Social Media zur Schau stellen: Was ist Ihrer Meinung nach das Grundproblem dabei?

Eric Hegmann: Viele Paare sind sich nicht einig, wie sie sich in den sozialen Medien darstellen wollen. Konflikte entstehen, wenn eine*r alles zeigen will: Alltag, Hund, Katze und Kind – und die oder der andere das Privatleben privat halten möchte.
Ich erlebe Paare in der Paartherapie, die sich den Urlaub über darüber gestritten haben, wie gefährlich es wäre, Strandfotos zu posten, weil man damit ja auch Personen, die zu Hause einbrechen könnten, eine Gelegenheit bieten würde.
Und wie wichtig es sei, dass alle sehen und beneiden können, wie gut man es sich gehen lässt. Oder ob die Kinder als Motiv taugen oder nicht. Oder ob überhaupt alle Pärchenbilder nicht schon zu viel wären – nicht nur diejenigen, auf denen sich eine*r der Partner*innen nicht gut getroffen sieht.
Birgt das allein schon so viel Zündstoff?
Anlass für Konflikte geben zunächst einmal der Stellenwert der Selbstdarstellung ebenso wie die Aufmerksamkeit, die Social Media in Anspruch nimmt. Hier geht es vordergründig um Zeit und Aufwand – dahinter verbergen sich aber oft tiefsitzende Zweifel: Nimmt mein*e Partner*in mich überhaupt noch wahr? Wie wichtig ist ihr oder ihm Anerkennung anderer Personen, genügt ihm oder ihr nicht, was ich geben kann?
"Dein Handy ist dir wichtiger als ich!"
Der Satz "dein Handy ist dir wichtiger als ich" fällt tatsächlich immer häufiger, weil auch allen Statistiken zufolge die Zeit kontinuierlich zunimmt, die Menschen damit verbringen, auf Bildschirme zu schauen und Timelines zu überprüfen. Kritik an der Handy- und der Social-Media-Nutzung wird ja auch meist mit Gegenangriff beantwortet.
Warum?
Weil soziale Medien sich das menschliche Suchtpotenzial zunutze machen. In Studien wurde belegt, dass Menschen etwa dann Instagram aufrufen, wenn sie sich einen Dopamin-Kick wünschen, um sich besser zu fühlen. Es ist die Mischung aus Belohnung und Anerkennung durch Likes und Kommentare und das Bedürfnis nach neuen Eindrücken und Abwechslung, die uns immer und immer wieder Apps aufrufen lässt.
Weniger wichtig zu sein als Postings, tut weh
Partner*innen müssen dadurch den Eindruck erhalten, sie seien weniger spannend, weniger guttuend, weniger wertvoll als Postings von Fremden. Das ist schmerzhaft und zerstört mittel- und langfristig die Bindung zwischen Paaren. Denn was alle Partner*innen in einer Beziehung permanent machen: Sie bitten um Verbindung, auch "Bids of Connection" genannt.
"Hast du das gesehen?", "hör mal, was mir aufgefallen ist" ... Nicht der Anlass ist entscheidend, sondern das Gefühl, wahrgenommen zu werden und nicht selbstverständlich zu sein.
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Aber können Paare nicht auch Gemeinsamkeit in den sozialen Medien erleben?
Natürlich können sich Paare auch über Fundstücke in sozialen Medien austauschen, so wie das früher Zeitschriften und Zeitungsartikel waren, doch die Verbindung ist nicht direkt und deshalb nicht so innig und befriedigend. Wenn dann ein*e Partner*in beginnt, Aufmerksamkeit einzufordern, zieht sich oft die oder der andere erst recht zurück.
Aneinander vorbeizuleben, wird durch Social Media verstärkt
Die Folge ist: Eine*r von beiden wird lauter, um gehört zu werden, die oder der andere wehrt sich nicht stärker – bis eine*r oder beide resignieren. Einer der häufigsten Trennungsgründe ist, "aneinander vorbeizuleben". Das war zwar auch schon vor Social Media der Fall – wie in so vielen Lebensbereichen hat das Internet das aber gründlich verstärkt.
Welche Rolle spielt Social Media bei der Partner*innen-Findung?
Social Media beeinflusst heute Beziehungen vom ersten Date bis zur Trennung. Nahezu alle Singles geben an, dass sie die Profile ihres neuen Schwarms und Kontaktes suchen. Die Unbefangenheit des ersten Kontaktes wird durch diese Vorabinformation natürlich geschmälert, denn man hat sich bereits ein Bild gemacht von der anderen Person, das weit über die früheren Informationen, die man zur Verfügung hatte, hinaus geht.
Beurteilst du ein Produkt ernsthaft anhand eines Werbespots?
Problematisch dabei ist, dass diese Informationen nur scheinbar umfangreich sind, denn in Wahrheit sind sie ja die Summe von Selbstdarstellung, Selbst-Marketing und Selbstoptimierung. Die überwiegende Masse aller Postings zeigen ja die schönen, positiven Seiten einer Person sowie die Aktivitäten, von denen diese Person glaubt, dass sie positiv wirken würden.
Letztlich ist es so, als wolle man ein Produkt ernsthaft nach einem Werbespot beurteilen – nur geht es nicht um Shopping, sondern um den Wunsch nach Liebe und Geborgenheit, also um Authentizität, denn alle wollen ja geliebt werden für das, was sie wirklich sind. Enttäuschungen sind durch diese Form der positiven Übertreibung vorprogrammiert – so menschlich es auch ist, sich im guten Licht darstellen zu wollen.
Sie sagten, Social Media begleitet uns bis zur Trennung...?
Auch nach einer Beziehung ist Social Media ein Problem. Bis zur Hälfte aller frisch getrennten Personen sagt, sie würden der oder dem Ex weiterhin folgen oder zumindest immer wieder die Profile besuchen. Dies verhindert das Loslassen und verlängert den Liebeskummer statistisch um mindestens ein halbes Jahr. Denn mit jedem Bild der bzedes Ex wird die Erinnerung an die gemeinsame Zeit aufgerufen.
Das ist, als würde man im Weinkeller einen Alkoholentzug machen wollen. Dadurch nimmt man sich ein Stück weit die Chance auf neues Glück, denn die richtige Person lässt sich nur finden, wenn man die falsche gehen lassen kann.
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