Der Verzicht auf Rührei geht an die Substanz – vor allem den Mitmenschen
Unsere Redakteurin hat beschlossen, sich einen Monat lang vegan zu ernähren. Wie es ihr bei diesem Selbstversuch erging, lesen Sie in dieser fünfteiligen Serie.
So schnell kann es also gehen: Die vierte Woche meines Selbstversuchs "Vegan essen" ist angebrochen, das Ende in greifbarer Nähe. Einkaufen geht mittlerweile ziemlich automatisch. Ich weiß, welche Lebensmittel mir schmecken und die wandern auch in den Einkaufswagen. Ich zerbreche mir nicht mehr den Kopf über die einzelnen Zutaten, fühle mich mittlerweile gut geübt in der Thematik. Die rein pflanzliche Ernährung ist gewissermaßen zur neuen Normalität geworden und in meinem Kopf ist wieder mehr Platz. Raum zum Denken – zum Weiterdenken, genauer gesagt. Sich vegan zu ernähren, ist die eine Sache. Wie es wohl ist, komplett vegan zu leben?
Vegan leben: So viel mehr als bloß Ernährung
Die Ernährung komplett umzustellen, war schon eine ganz schöne Herausforderung. Manchen genügt es aber nicht, sich einfach nur vegan zu ernähren. Manche LEBEN vegan. Und da gehört noch so viel mehr dazu. In den ersten Wochen meines Selbstversuchs war ich schon so erschlagen von der bloßen Ernährung und schob die anderen Aspekte beiseite. Mit ein wenig mehr Übung drängten sich aber auch die anderen Aspekte auf.
Was ist mit Kosmetik? Was ist mit Kleidung? Und all den Alltagsgegenständen?
Ich begann also, auf diversen Internetseiten und in Foren zu recherchieren und staunte nicht schlecht, worauf bei einem veganen Leben alles zu achten ist.
Auch Kleidung kann vegan sein
Noch mal zur Erinnerung: Wer vegan lebt, der verzichtet auf alle tierischen Produkte – und zwar nicht nur bei der Nahrung, sondern bei allem: bei Alltagsgegenständen, Kosmetik und Kleidung.
Doch woran erkenne ich nun, ob Kleidung vegan ist oder nicht? Ein Kleidungsstück ist genau dann vegan, wenn weder in der Produktion, noch im fertigen Kleidungsstück ein tierisches Produkt enthalten ist. In manchen Fällen ist das natürlich ganz offensichtlich, in anderen weniger. In unserer Bildergalerie erfahren Sie, auf welche Materialien Sie bei einem veganen Leben verzichten sollten:
Vegane Kleidung: Diese Materialien sollten Sie meiden
In der Regel werden Tiere speziell für die Produktion solcher Materialien gezüchtet, zumeist in Ländern, in denen es wenige bis gar keine Regelungen in Sachen Tierschutz gibt. Meist müssen sie Torturen über sich ergehen lassen oder gar sterben, damit die Materialien produziert werden können. Für Veganer ist deshalb klar: Solche Materialien kommen nicht mehr in die Tüte – im wahrsten Sinne des Wortes.
Bei Kosmetik genau auf die Inhaltsstoffe achten!
Ja, auch in Sachen Kosmetik wird unterschieden. Und in dem Bereich ist es wirklich ganz schön kompliziert. Ein veganes Kosmetik-Produkt wurde weder von noch aus Tieren produziert. Die Bezeichnung Naturkosmetik klingt für die meisten erstmal sehr gut, bedeutet aber längst nicht, dass ein Produkt vegan ist. Ja, selbst wenn ein Produkt vegan ist, kann es sein, dass trotzdem im Rahmen der Produktion Tierversuche durchgeführt wurden – und auch das möchte man als Veganer natürlich vermeiden.
Auf den Internet-Seiten der Drogerien und auch der Kosmetik-Hersteller selbst lässt sich in der Regel herausfinden, ob die Produkte vegan und tierversuchsfrei sind. Wer darauf Wert legt, kommt um Recherche also nicht herum: Welche Hersteller arbeiten ohne Tierversuche? Welche Inhaltsstoffe in Kosmetika sind nicht vegan? Letzteres erfahren Sie auch in unserer Bildergalerie:
Diese Kosmetik-Produkte sind womöglich nicht vegan!
- Erkenntnis Nummer 11: Ich muss in meinem Kosmetiklager ausmisten. Auch, wenn ich nicht völlig vegan lebe: zerquetschte Läuse auf den Lippen? So. Ekelhaft.
Meine Güte. Die Auseinandersetzung mit veganer Kleidung und Kosmetik war wirklich mehr als ernüchternd. Da durchlebe ich bis dato etwas über drei Wochen der veganen Ernährung und tue mir schon mächtig leid. Wenn ich diese ganzen anderen Aspekte auch noch zu beachten hätte? Keine Ahnung, ob ich es soweit geschafft hätte.
Eigenlich könnte ich an dieser Stelle ja total erleichtert sein und mich freuen, dass ich mir zu Beginn meinen Selbstversuch nicht wesentlich strenger zurecht gelegt habe. Ich bin aber nicht erleichtert. Im Gegenteil. Ich bin dünnhäutig und irgendwie nah am Wasser gebaut. Ich bedauere all das Leid der Tiere, die selbst für die Produktion von Kosmetikprodukten ihr Leben verlieren. Ich bedauere mich, dass ich keinen Käse essen kann. Ich bedauere die Tatsache, dass ich bedauere, keinen Käse essen zu können. Und wie kläglich ich mich gerade zum Teil fühle, bekommen auch meine Mitmenschen mit...
Tränenreiches Team-Frühstück
In dieser letzten Woche meines Selbstversuchs saß ich im Büro und führte ein Interview mit einem charmanten TV-Koch. Dieser verriet mir – im knuffigen Wiener Dialekt – wie man das perfekte Rührei zubereitet (und zwar mit viel Butter, viel Eigelb und viel Parmesan). Während er mir das Rezept erklärte, müssen meine Augen aus blanker Begeisterung auf die doppelte Größe gewachsen sein. Bloß gut, ich habe nicht angefangen, vor lauter Appetit zu sabbern. Selbstredend, dass ich diese bahnbrechende Erkenntnis über etwas im Grunde so Banales wie einem Rührei gleich mit meinen lieben Kolleginnen teilen wollte. Schnell merkte ich: reichlich dumme Idee. Manchmal könnte man sich selbst einfach in den Hintern treten.
- Erkenntnis Nummer 12: Gute Ideen einfach mal für sich behalten und nur zu strategisch klugen Zeitpunkten mit der Umwelt teilen.
Scheinbar fanden die anderen die Vorstellung eines cremigen Rühreis ähnlich attraktiv wie ich und so war es im Handumdrehen beschlossene Sache: Zum nächsten Team-Frühstück würde es Rührei geben. Dumm nur, dass das Team-Frühstück mitten in meiner letzten veganen Woche liegt. Noch dümmer, dass dieses Frühstück zumindest zum Teil mir zu Ehren ausgerichtet wird, um meinen Geburtstag vor einigen Wochen nachträglich zu zelebrieren.
Noch glaubte ich nicht daran, dass meine Kolleginnen dieses Vorhaben wirklich durchziehen würden. Doch als ich am Tag des Frühstücks ins Büro schlenderte, sah ich das Elend auch schon auf dem Tisch lauern: eine große Packung Eier. Kuhäugig schaute ich in die Runde und konnte schlichtweg nicht fassen, dass sie mir das wirklich antun würden. Wie egoistisch von all den anderen, dass sie alle nicht das machen, was ICH will (Ja, das war ironisch gemeint).
Ironie hin oder her. Ich merkte, wie meine Tränendrüsen langsam in Wallung gerieten, weshalb ich die Beine in die Hand nahm und das Büro auf schnellstem Wege verließ. In der frischen Luft angekommen, ließ ich all meinen Emotionen freien Lauf und heulte wie damals, als ich zum ersten Mal den Film "Titanic" gesehen hatte.
Es dauerte sage und schreibe 20 Minuten, bis ich mich halbwegs gesammelt hatte und zum Team-Frühstück gehen konnte – mit verquollenen, roten Augen und leicht verschmierter Wimperntusche, versteht sich. Keiner kommentierte meinen Auftritt (zumindest da noch nicht) und dafür war ich auch ganz dankbar. Immerhin: Die veganen Brotaufstriche und die Schokocreme, die meine Kollegen besorgt haben, waren sehr lecker. Wenn auch ganz sicher nicht so lecker wie das Rührei, dass die anderen im selben Moment futterten...
Gleich und gleich gesellt sich gern...
Schon klar: Der Selbstversuch ist mein selbstgewähltes Schicksal. Man kann andere nicht dafür verantwortlich machen, dass man manche Dinge gerade nicht essen kann. Noch weniger kann man sie zwingen, sich aus Solidarität genauso zu ernähren, wie man selbst. Schön und sonderlich angenehm sind solche Situationen allerdings trotzdem nicht, weshalb ich mich die letzten Tage meines Veganer-Daseins zurückzog und die Gesellschaft ganz bestimmter Menschen bevorzugte: andere Veganer, vor allem jene beiden Freunde, die den Selbstversuch mit mir zusammen durchziehen und entsprechend im selben Boot saßen wie ich.
- Erkenntnis Nummer 13: Das Leben ist leichter, wenn man es mit Gleichgesinnten teilt.
Da ich mittlerweile auch von der ganzen Kocherei die Nase voll hatte, gingen wir in den letzten Tagen des Versuchs oft als Trio essen – bevorzugt in (natürlich!) vegane Restaurants, um niemandem dabei zusehen zu müssen, wie sie leckere Sachen in sich hineinschaufelten, die man sich selbst verwehrt.
Fazit Woche 4: Der Käse ruft!
Was für eine Woche... Mein Gefühl ist ein einziger Widerspruch. Auf der einen Seite finde ich unseren Selbstversuch wirklich gut, halte das Ganze für eine tolle Idee und finde das ganze Vegan-Essen und vegan leben durchaus machbar. Auf der anderen Seite merke ich aber auch, dass ich wirklich so richtig auf Entzug bin. Mein Körper schreit förmlich nach tierischen Lebensmitteln – und bekommt sie nicht. Das macht aus mir eine grantige Heulsuse, die sich aus reinem Futterneid von anderen Menschen distanziert. Ob sich das irgendwann legen würde, wenn ich das ganze einfach einen weiteren Monat mache? Wenn ich es dann auch noch RICHTIG machen und meinen ganzen Lebensstil vegan einstellen würde? Ich werde es wohl nicht herausfinden. Zumindest dieses Mal nicht.
Ich schaue auf die Uhr. Mein Selbstversuch dauert noch genau drei Stunden. Dann ist Mitternacht und mein Versuch somit erfolgreich beendet. Vorhin war ich nochmal im Supermarkt und habe Cheddar-Käse, Camembert und Salami gekauft. Diese drei Köstlichkeiten habe ich in kleine Häppchen geschnitten und auf einem Teller drappiert. Cinderella verwandelte sich um Mitternacht von einer unbekannten Prinzessin in ein armes Mädchen – ich verwandle von der Veganerin zum Allesfresser. Und als allererstes werde ich mich über ein Stückchen Käse hermachen.
Wie das wohl sein wird? Das erfahren Sie kommenden Freitag im letzten Teil meines Selbstversuchs, in meiner Auswertung. Dort werde ich auch auf all die Fragen eingehen, die ich mir zu Beginn gestellt habe: Ob ich in dieser Zeit abnehmen würde, ob vegane Ernährung teuer ist und vieles weitere mehr. Bleiben Sie gespannt!