Eine Studie soll's belegen

Leiden die Winnie-Puuh-Charaktere etwa unter mentalen Problemen?

Die Winnie Puuh Charaktere schauen erfreut zur Seite.
© IMAGO / Mary Evans
Leiden die Winnie Puuh Charaktere etwa allesamt an mentalen Problemen?

I-Ah ist depressiv und Tigger hat ADHS? Einer "Studie" zufolge lassen sich den Charakteren aus dem Hundertmorgenwald psychische Störungen zuordnen. Was es damit auf sich hat, erfährst du hier!

Im Internet existiert ein Quiz, mit dem man herausfinden kann, welcher Figur aus dem Hundertmorgenwald man am ähnlichsten ist. Der Witz an der Sache ist jedoch: Mithilfe des Tests soll man Aufschluss darüber bekommen, an welcher psychischen Krankheit man leiden könnte.

Nach 33 Aussagen, denen man in Abstufungen zustimmen oder diese ablehnen soll, bekommt man ein Ergebnis präsentiert. Dabei variieren die Behauptungen von "Ich mache mir immer Sorgen um dieses oder jenes" bis hin zu "Ich denke oft, dass die Interaktion mit anderen Menschen mehr Mühe macht, als sie wert ist".

Grundlage für dieses Quiz ist eine im Jahr 2000 veröffentlichte Studie der Psychologin Dr. Sarah E. Shea und einiger ihrer Kolleg*innen. In der Arbeit untersuchte die Gruppe der Entwicklungspsycholog*innen sieben verschiedene Winnie-Puuh-Charaktere. Dabei fiel den Wissenschaftler*innen auf, dass die Figuren mit psychischen Störungen in Verbindung gebracht werden konnten.

Aufmerksamsein fällt Winnie Puuh schwer

Demnach soll Winnie Puuh selbst ein Aufmerksamkeitsdefizit haben: Er ist unaufmerksam und vergesslich. Er verliert sich leicht in seiner eigenen Welt und besitzt eine kurze Aufmerksamkeitsspanne. Seine Versuche, das zu bekommen, was er will, sind impulsiv und schlecht durchdacht.

Das beste Beispiel hierfür ist wohl sein Leibgericht Honig. Um an die süße Leckerei zu kommen, scheint Puuh keine Mühen zu scheuen und klettert zuweilen schon mal auf einen hohen Baum. Dabei scheint er allerdings nicht über die Konsequenzen nachzudenken. Das hat zur Folge, dass er beispielsweise herunterpurzelt und in einen stachligen Brombeerbusch fällt.

Ferkel scheint an einer generalisierten Angststörung zu leiden

Winnies besten Freund Ferkel hingegen plagen Paranoia und Ängste. So macht sich das kleine Schweinchen beispielsweise übermäßig viele Sorgen, leidet unter innerer Unruhe und kann seine Furcht nur schwer im Zaum halten.

Sein Alltagsleben ist gezeichnet von Unsicherheit und Angst. Selbst vor normalen Situationen scheint es Bange zu haben, weil es immer das Schlimmste erwartet. Die nächste Katastrophe lauert, wenn es nach Ferkel geht, also direkt hinter der nächsten Ecke. 

Der aufgeweckte Tigger kann partout nicht stillsitzen

Auch Tigger wird in der Studie genaustens unter die Lupe genommen. Der Tiger fällt durch sein hohes Energielevel und seine hibbelige Art auf. Er scheint nicht stillsitzen zu können und springt den ganzen Tag auf seinem Schwanz herum, ohne jemals müde zu werden. Außerdem scheint er aus gefährlichen Vorfällen nichts zu lernen. Deshalb lautet das Fazit der Expert*innen: Tigger hat ADHS.

Der Trauerkloß vom Dienst namens I-Aah

Den zurückgezogenen Esel zeichnet besonders eine Sache aus: seine chronisch schlechte Laune sowie seine Drei-Tage-Regenwetter-Mentalität.

Ihn scheinen Gefühle der Hoffnungslosigkeit zu plagen, denn er bemitleidet sich oftmals selbst und badet förmlich in diesen Gefühlen. I-Aah leidet somit offensichtlich an Depressionen – genauer gesagt Dysthymie.

Für Rabbit muss alles an Ort und Stelle sein

Wer an einer Zwangsstörung zu leiden scheint, ist Rabbit. Für den aufgeweckten Hasen muss immer alles am richtigen Platz sein. Sollte dies mal nicht der Fall sein und sein Ordnungssystem auseinanderbrechen, scheint er die Kontrolle zu verlieren. Hektisches Verhalten und ein Drang zur Ordnung sind da fast vorprogrammiert.

schwer

Als kleines Kängurukind erlebt Ruh im Hundertmorgenwald jede Menge Abenteuer. In der Auswertung des Tests heißt es, dass Ruh geistig "eingesperrt" sei und sich sozialer Subtexte nicht bewusst sei. Er soll ebenfalls Schwierigkeiten damit haben, seine Gefühle auszudrücken und die seiner Umgebung zu verstehen.

In dem Test heißt es weiterhin: "Er wechselt zwischen übertriebenem und rücksichtslosem Verhalten auf der einen Seite und passivem Verweilen im Beutel seiner Mutter auf der anderen Seite". Ruh scheint somit Autist zu sein. In Dr. Sheas Studie hingegen konnten die Wissenschaftler*innen keine Anzeichen für auffälliges Verhalten entdecken, das nicht auf Ruhs junges Alter zurückzuführen ist.

Christopher Robin ist wohl schizophren

Christopher Robin ist der einzige menschliche Protagonist der Werke. Er glaubt mit Tieren sprechen zu können und ist der Einzige, der Puuh, Ferkel und Co sehen kann. Zudem lebt er in seiner ganz eigenen Fantasiewelt. Das scheint für die Entwicklungspsycholog*innen ein deutliches Anzeichen dafür zu sein, dass der Junge an Schizophrenie erkrankt ist.

Was steckt wirklich hinter der Puuh-Pathologie?

Doch wie viel Wahrheitsgehalt steckt im Endeffekt wirklich in dem Test und der zugrunde liegenden Studie? Immerhin weisen die Quizmacher*innen zu Beginn bereits darauf hin, dass der Test nicht als Selbstdiagnose dienen und die Ergebnisse "nicht als professionelle oder zertifizierte Beratung jeglicher Art ausgelegt werden sollten".

Der Winnie-Puuh-Autor A. A. Milne soll selbst aufgrund seiner Erfahrungen im Ersten Weltkrieg an einer posttraumatischen Stressreaktion gelitten haben. Die Überlegung, dass er seine Erfahrungen und die Auseinandersetzung mit psychischen Erkrankungen im Anschluss auch in seinen Büchern thematisiert hat, scheint somit zunächst schlüssig zu sein.

Doch kann es wirklich so einfach sein, mentale Probleme zu erkennen und aus der Ferne zu diagnostizieren? Dazu hat BILD der FRAU den Psychologen Simon Wolter befragt.

Wahrheit oder Quatsch? Das sagt ein Psychologe

"Der Puuh-Pathologie-Test hat keine wissenschaftliche Fundierung. [...] Er ist psychologisch nutzlos", macht Herr Wolter direkt zu Beginn deutlich. Auffallend sei dies besonders, weil die Quizmacher*innen zwei dem Test widersprechende Texte in den Quellen angeben. "Psychologisch wissenschaftliche Fundierung sieht ganz anders aus", versichert er.

Problematisch sei dies besonders hinsichtlich der klischeehaften Darstellung der einzelnen Störungen. Menschen, die selbst noch nie mit mentalen Problemen in Berührungen gekommen sind, wird so ein falsches Bild vermittelt: "Depressive sind eben nicht wie I-Aah, Menschen mit ADHS nicht wie Tigger. [...] Psychische Erkrankungen können nicht so einfach auf einen Charakter runtergebrochen werden".

Im Endeffekt seien es nicht mehr als "Stereotype, die man in einer modernen Lesart psychischen Krankheiten zuordnen kann".

Dr. Shea selbst scheint ihre Analyse von Winnie Puuh und seinen Freunden ebenfalls nicht ganz ernst gemeint zu haben. So versichert sie in einem Interview mit iNews beispielsweise, dass die Gruppe sich mit der Studie über ihren eigenen beruflichen Prozess habe lustig machen wollen, "indem wir über andere urteilen, sie diagnostizieren und abstempeln". Auch der humorvolle Ton der Arbeit habe ihres Erachtens auf Sarkasmus hingedeutet.

Dennoch ist Dr. Shea der Meinung, dass es für ein Kind, das mit einer psychischen Krankheit lebt, gut sein könnte, sich mit Winnie Puuh, I-Aah oder Tigger identifizieren zu können – nicht zuletzt, weil alle harmonisch zusammenleben.

Dem stimmt auch Herr Wolter zu: "Wenn Kinder schon früh anfangen zu merken, dass sie sich anders oder belastet fühlen, […] ist es für Kinder gut, sich mit irgendeinem Charakter identifizieren zu können und jemanden zu haben, der so ist wie man selbst".

Für Kinder, die beispielsweise öfter als Gleichaltrige unter Angst leiden, könnte es förderlich sein, zu sehen, wie Ferkel seine Furcht immer wieder überwindet. Anhand der Winnie-Puuh-Charaktere könnten sie zudem lernen, besser mit ihren eigenen Emotionen umzugehen

Dem Puuh-Pathologie-Test liegt kein psychologisches Fundament zugrunde

Im Endeffekt ist der Puuh-Pathologie-Test somit nicht mehr als eine humorvolle Spielerei, der kein psychologisches Fundament zugrundeliegt.

Alle, die den Test machen wollen oder es bereits getan haben, sollten sich aus diesem Grund darüber im Klaren sein, dass es keine Ableitung vom Ergebnis auf die eigene Psyche gibt. Sollten Sie die Vermutung haben, dass Sie psychisch krank sind, suchen Sie sich bitte professionelle Unterstützung.

Hier finden Sie die Studie in englischer Sprache zum Nachlesen.

Quellen:
spiegel.de, rtl.de, buzzfeed.de, inews.co.uk
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