Die "neue" Angst vor Bindung

Warnzeichen in Beziehungsphasen – Teil 6: Firedooring

Eine Frau schüttet ihrem Mann am Frühstückstisch Cornflakes in eine Schale
© iStock.com/Drazen Zigic
Wenn eine Beziehung nach dem Firedooring-Prinzip geführt wird, bedeutet das, dass sie einseitig funktioniert – wie eine Feuertüre: Einer gibt ständig, der andere nimmt nur.

Immer mehr Menschen leiden an Symptomen von Bindungs- und Verlustangst – eine Folge unserer heutigen Gesellschaft. Dieses ängstliche Bindungsverhalten macht sich auch an typischen Verhaltensweisen fest, die uns ein Experte erklärt. Heute: Firedooring.

Eine Beziehung eingehen, den richtigen Partner finden: In unserer Gesellschaft gab es noch nie so viele Freiheiten wie heutzutage – und gleichzeitig so viele Menschen mit Symptomen von Bindungs- und Verlustangst. Dadurch entstehen neue Arten des Verhaltens innerhalb einer Partnerschaft, die aber in der Anfangsphase nicht immer leicht zu durchschauen sind, wie etwa Firedooring.

Sie geben und geben, und vom Partner kommt nichts zurück – im Gegenteil: Aufmerksamkeiten werden ganz selbstverständlich hingenommen, während hier und da ein kleiner Hinweis, worüber Sie sich vielleicht auch mal freuen würden, schon als Beleidigung gewertet wird? Dann leben Sie möglicherweise in einer Firedooring-Beziehung.

Paarberater und Parship-Coach Eric Hegmann kennt sich mit der Thematik bestens aus. Für BILD der FRAU hat der Experte die wichtigsten Warnzeichen während der Dating- und Beziehungsphasen in der heutigen Gesellschaft zusammengestellt. In einer Serie erklärt er sie und sagt, wer so etwas macht, wer betroffen ist – und wie man sich schützen kann.

Paar-Therapeut Eric Hegmann | © Robert Hilton
Foto: Robert Hilton
Eric Hegmann, Paarberater und Parship-Coach aus Hamburg

Warnzeichen beim Kennenlernen – Teil 6: Firedooring

Ein Notausgang, eine "Feuertüre", lässt sich nur von einer Seite öffnen. Mit diesem Kunstbegriff wird also eine einseitige Beziehung beschrieben. In dieser kümmert sich einer, vom anderen kommt wenig bis nichts. Dieses Verhalten, das Firedooring, gibt es nicht nur in der Kennenlernphase beim Dating, sondern auch bei Freundschaften.

Jeder kennt das: Manche Menschen melden sich nie. Man selbst ist derjenige, der den Kontakt aufrecht erhält, die Beziehung pflegt, kreativ ist beim Planen gemeinsamer Aktivitäten. Man lässt also den anderen machen und gibt dem irgendwann das wenig wertschätzende Gefühl, würde der sich keine Mühe mehr geben, würde die Beziehung bald eingeschlafen sein. Es handelt sich also um keine ausgewogene Partnerschaft auf Augenhöhe. Vielmehr investiert nur einer und der andere profitiert davon.

Firedooring: Wen kann es treffen?

Ein Mann überreicht einer überraschten Frau in einem Cafe ein Geschenk | © imago/Science Photo Library
Foto: imago/Science Photo Library
Ist eine Beziehung sehr einseitig, was das Geben und Nehmen betrifft, ist das auf Dauer sehr ungesund. Man spricht dann vom Firedooring.

Letztlich jeden – die Frage ist, wie lange macht man das mit? Und hier kann man unterscheiden zwischen solchen, die das lange mitmachen und solchen, die recht schnell ihr Engagement einstellen, wenn sie die Einseitigkeit erkennen. Menschen, die sowieso überzeugt sind, dass man sich um Liebe und Freundschaft bemühen muss, benötigen länger, um zu bemerken: Da kommt nichts zurück. Sie reagieren dann, wenn ihnen die Dynamik letztlich klargeworden ist, allerdings oft sehr beleidigt und verärgert. Sie fühlen sich ausgenutzt. Wenn dann der andere auch noch sagt: "Das hast du freiwillig gemacht, du musstest das doch nicht tun", fühlen sie sich erst recht ausgenutzt und verletzt.

Wie in allen Beziehungs-Dynamiken ist der Dreh- und Angelpunkt der Selbstwert. Ist der geschwächt und verletzt, lässt man mehr mit sich machen. Denn aus einer Position der Schwäche sagt die Erfahrung: "Ich muss mir Mühe geben, um Anerkennung, Freundschaft und auch Liebe zu erhalten." Da schwingt viel Hoffnung mit, sich Zuneigung letztlich zu erarbeiten. Also: Wenn ich alles gebe, dann bekomme ich irgendwann zurück, was ich brauche. Beim Firedooring wird dies aber nicht passieren. Eher wird man zur Schulter zum Ausweinen – hat man selbst aber Probleme, ist der andere nicht erreichbar.

Firedooring: Wer macht sowas?

Das sind Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – egoistisch auf ihren Vorteil bedacht sind. Sie finden es gut, dass sich andere um sie bemühen, daraus ziehen sie Anerkennung und ein gutes Gefühl, nämlich umsorgt, umworben und begehrt zu sein. Leider ist deren Empathie aber nicht ausgeprägt genug, um zu sehen, dass zu einer Beziehung eben auch ein Gleichgewicht solcher Bemühungen gehört.

In schwierigen Lebensphasen wird man nicht immer in der Lage sein, viel zurückzugeben. Da tut Anerkennung und Wertschätzung gut, um den eigenen Selbstwert auf erträglicher Höhe zu halten. Doch wer eben immer nur nimmt und nie gibt, ist schlicht ein schlechter Freund.

Firedooring: Wie kann man sich schützen?

Weder in Freundschaften noch in Beziehungen ist Aufrechnen gut. Denn das geht Hand in Hand mit Erwartungen, und niemand ist da, um die Erwartungen anderer zu erfüllen. Wenn aber dauerhaft das Beziehungskonto auf der eigenen Seite im Minus ist, während der andere permanent das Plus genießt, ist Zeit für ein klärendes Gespräch. Das sollte ohne Vorwürfe erfolgen, aber doch deutlich machen, dass man sich übervorteilt oder vielleicht sogar ausgenutzt fühlt.

Möglich ist auch, dass man selbst Anstrengungen des anderen übersehen hat, weil man nicht aufmerksam genug war. Das findet man dann im Gespräch heraus. Zeigt aber das Gegenüber keine Einsicht und fühlt sich selbst als "Geschenk an die Welt", sollte man sich zurückziehen und sein Engagement auf Menschen verwenden, die diese Bemühung zu schätzen wissen und es für selbstverständlich halten, auch selbst zu investieren. Die übersieht man nämlich leicht, während man sich um jemanden bemüht und nur den einen im Auge hat.

Mehr Infos zu unserem Experten Eric Hegmann finden Sie hier.

Groundhogging - Was steckt hinter dem Dating-Phänomen?

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